Die Macht des Gerüchts
03. Jul 2025
„Üble Nachrede zeigt immer Wirkung. Wird sie öffentlich, lässt sie sich auch mit juristischen Mitteln kaum eindämmen.“ Das schrieb jetzt der Publizist und Jurist Michel Friedmann in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“. Hintergrund ist eine Kampagne gegen den Chefredakteur der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“, an dessen jüdischer Identität öffentlich Zweifel ausgestreut wurden. Friedmann schreibt dazu: Gerüchte sind eine der „ekelhaftesten und gefährlichsten Methoden, einen Menschen zu beschädigen“. Und zitiert den Philosophen Theodor W. Adorno. Der nannte den Antisemitismus „das Gerücht über die Juden“.
Antisemitische Vorfälle sind im vergangenen Jahr erneut drastisch angestiegen. Gerüchte sind zwar statistisch kaum fassbar aber umso nachhaltiger wirksam. Einmal in die Welt gesetzt, sind sie kaum wieder einzuholen. Friedmann fand dazu das Bild eines Kissens, das auf dem Dach eines Hauses zerschnitten wird, worauf sich dessen Federn uneinholbar verbreiten wie das schlechte Reden über Mitmenschen.
Mich erinnerte diese Erzählung an die Darstellung „Das Gerücht“ des 1980 verstorbenen Lithographen und Zeichners A. Paul Weber. Die erste Studie entstammt dem Jahr 1943. Das Motiv greift die Verführbarkeit der Menschen auf durch die Propaganda in der Zeit des Nationalsozialismus. Weber verarbeitet in seinem Bild Verse des römischen Dichters Vergil: Fama, das Gerücht, erscheint da als fliegendes Ungeheuer: „Wieviele Federn am Leibe, soviele wachende Augen hat sie darunter, soviele züngelnde Münder und soviele lauschende Ohren … so auf Erlognem und Falschem beharrend wie Botin des Wahren.“ Die Analogie zu heutigen Geschichtsfälschungen durch autoritäre Regime und rechte Kreise wird deutlich.
Das Thema berührt auch die neuen sozialen Medien. Millionen junger Menschen kennen üble Nachrede aus den Chats. Oft mit tragischen Folgen. Der aus dem Jahr 2008 stammende fatalistische Rat der Band „Die Ärzte“: „Lass die Leute reden…“, mag für selbstbewusste Menschen gegen Alltagsklatsch ausreichen, kannte aber nicht die ungefilterte Bosheit der neuen Medien. Wenn es gegen die Würde des Menschen geht, sind Staat und Rechtsmittel gefordert; wobei üble Nachrede sich auch durch Fakten kaum eindämmen lässt: „Irgendwas wird schon dran sein“.
Ein weites Feld für die sozialpsychologische Arbeit und Begleitung von Menschen. Und eine Mahnung, die alten Psalmworte zu bedenken: „Herr, stelle eine Wache vor meinen Mund, behüte das Tor meiner Lippen. Neige mein Herz nicht zum bösen Wort, damit ich nicht frevlerische Taten verübe zusammen mit Menschen, die Unrecht tun.“ (Psalm 141,3ff).
Bildrechte: A. Paul Weber, „Das Gerücht“, Lithographie von 1953, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025